Wir diskutieren kurz eine Studie, die Kosten-Nutzen Daten in Sachen Schweizer Lehrbetriebe präsentiert. Inwiefern sie sich auf das Recruiting von Auszubildenden auswirkt ist ebenfalls Thema im Beitrag.
Die duale Berufsausbildung – d.h. die lernende Person hat zwei Lernorte, Betrieb und Berufsschule – hat vor allem in der Schweiz, Deutschland, Österreich und auch Dänemark eine wichtige Funktion. Viele Jugendlichen werden dadurch für eine Karriere im Berufsalltag vorbereitet.
2015 haben in Zürich knapp 70% der jungen Erwachsenen bis zum 25. Altersjahr eine Berufslehrausbildung als Erstabschluss nach der obligatorischen Schule gemacht. In Genf lag dieser Anteil nur bei 30% und im Kanton Waadt bei knapp 48%. Diese Zahlen sind wichtig, denn im internationalen Vergleich weisen Länder mit stark betrieblich basierter Ausbildung tendenziell für Erwachsene unter 26 Jahren eine tiefere Arbeitslosigkeit auf.
In der Schweiz unterscheidet man prinzipiell zwischen zwei Typen von Berufslehrabschlüssen:
- die zweijährige berufliche Grundbildung mit Eidgenössischem Berufsattest (EBA), und
- die drei- und vierjährige berufliche Grundbildung, welche man mit dem Eidgenössischem Fähigkeitszeugnis (EFZ) abschliesst.
Diese Woche wurde die Kosten-Nutzen-Erhebung des Schweizerischen Observatoriums für die Berufsbildung OBS EHB, die das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI in Auftrag gegeben hat, veröffentlicht. Hier ein paar Details.
Datenerhebung in der Studie
Die Autoren beschreiben die Datenerhebung im Bericht. Für uns ist es von speziellem Interesse zu untersuchen, wie die Kennzahlen zu Kosten und Nutzen erhoben wurden. Hier die Kurzerklärung:
Die Bruttokosten setzen sich aus Lehrlingslohn, Personalkosten, Material und Anlagekosten sowie sonstigen Aufwendungen zusammen. Bei den Personalkosten werden die zeitlichen Aufwendungen der Ausbildner erhoben und mit ihren Löhnen verrechnet.
Auf der Nutzenseite profitieren die Betriebe von der Arbeitskraft der Lernenden, den «produktiven Leistungen».
Dabei unterscheidet die Studie zwischen Tätigkeiten, die sonst von ungelernten Arbeitskräften ausgeführt würden (sogenannten Ungelernten-Tätigkeiten), und Arbeiten von ausgebildeten Fachkräften (Fachkraft-Tätigkeiten). Daneben gibt es auch «unproduktive» Tätigkeiten wie Übungen.
Die obige Definition zeigt bereits, dass nur Betriebe mit genauem „Cost-Accounting“ diese Zahlen aus der Datenbank liefern können. Doch es scheint sicher, dass einige Teilnehmer der Studie nicht von solchen Daten profitierten. Somit dürften diese Teilnehmer über den Daumen gepeilt Angaben zu Kosten und Ertrag gemacht haben. Wie sich dies auf die Studie und deren Wiederspiegelung der Realität auswirkt, können wir an dieser Stelle nicht genau eruieren.
Inwiefern die fehlende Kostenrechnung für die Berufsbildung die Aussagekraft der Studienresultate beeinflusst ist schwer abzuschätzen. Doch diese Problematik wurde weder an der Pressekonferenz noch in den allen zur Verfügung gestellten Reports angesprochen.
Die Studie zeigt, dass die Lehrlingen in der zwei-, drei- und auch vierjährigen Ausbildung in 63% der Fälle schon während der Ausbildung dem Betrieb mehr bringen, als sie kosten. Das kann der Betrieb aber nur dann nachvollziehen, wenn die Kostenrechnung vollständig und sehr genau gemacht wird. Nach unserer Erfahrung ist das weder in kleineren noch grösseren Betrieben immer der Fall.
Übrigens, ein besonders günstiges Konsten-Nutzen-Verhältnis weist die zweijährige Lehre mit eidgenössischem Berufsattest aus (EBA). Die Frage muss jedoch gestellt werden, ob die wachsende Anzahl solcher Ausbildungsplätze auch damit korreliert, dass immer mehr Schulabgänger den Ausbildungsansprüchen einer drei- oder vierjährigen Lehre nicht gerecht werden, d.h. für die Berufsschule ungenügende Kenntnisse in Mathematik, Sprache, usw. mitbringen. Darauf gibt uns die Studie keine Antwort. Deren Resultate dazu zu nutzen, die zweijährige Ausbildung zu forcieren, darf hinterfragt werden.
Kurze Anmerkung: Die Studie basiert auf einer Stichprobe von 421 ausgefüllten Fragebögen von ausbildenden Betrieben (siehe z.B. Seite 11 Methodenbericht unten). Die Studie ist nicht repräsentativ.
Auswirkungen auf das Recruiting von Lehrlingen oder Azubis
Der Status der Berufslehre hängt davon ab ob die kritisch notwendige Masse von Jugendlichen diesen Weg wählt, denen auch das Gymnasium offen gestanden hätte. Diese Schulabgänger sind wichtige mögliche Bewerber für die EZB.
Doch ist es für immer mehr Firmen schwieriger, deren offenen 4-jährigen Ausbildungsplätze z.b. in technischen Berufen mit qualifizieren Schulabgängern zu besetzen. Zur Illustration, die 2-jährige EBA Ausbildung erfreut sich bei Betrieben immer grösserer Beliebtheit, speziell auch weil solche Ausbildungsplätze mit weniger guten Schülern besetzt werden können. Nichtsdestotrotz kann ein Mitarbeiter mit einem 2-jährigen EBA Abschluss nicht die gleich komplexen Arbeiten unabhängig ausführen, wie derjenige der eine 4-jährige EZB Bildung erfolgreich abgeschlossen hat.
Aus diesem Grunde müssen Firmen auch weiterhin sicher stellen, dass deren EZB Ausbildungsplätze besetzt werden. Eine Möglichkeit bietet Corporate Communication. Das heisst, Content mit Mehrwert für die Stakeholders wie Eltern, Schüler und Lehrer zu produzieren ist hier Pflicht. Das Beispiel von der Roche Diagnostics unten zeigt dies. Dank starker Marke, guter Ausbildung und mit Hilfe einer Kommunikation mit Mehrwert für die Jungen sind die EZB Stellen früh besetzt!
PS: Wie wir hier Mehrwert kreieren können und müssen, haben wir in diesem Blogeintrag aufgezeigt.
Das Beispiel der Bouygues (siehe unten) illustriert dies auf eine weitere Art. Hier werden Inhalte angezeigt, welche es dem Jungen ein wenig einfacher machen sollen, sich erfolgreich zu bewerben. Angaben wie z.B. wie bereite ich mich für die Schnupperlehre vor, das Job Interview und den Test wie Multicheck wird hier diskutiert. Das stört auf Interesse wenn dann noch Vorlagen (z.B. für Lebenslauf, Begleitbrief) usw. bereit gestellt werden. Dies schadet dem Firmenimage als Ausbildner bestimmt auch nicht und bringt mehr qualifizierte Bewerber.
Unten haben wir eine Tabelle, welche zeigt, inwiefern Planung und Strategie bereits von Anfang im Recruiting mit Hilfe digitaler Kanäle eine immer wichtigere Rolle spielt, um qualifizierte Auszubildende rekrutieren zu können.
Relevante Inhalte mit wichtigen Informationen müssen diese Zielgruppe über verschiedene Kanäle erreichen wie Webseite, Blog, Instagram, Schulklasse, Messe, usw.
Zeitschiene | Digitale Inhalte | Aktivitäten |
21-24 Monate vor Antritt der Ausbildung | Kommunikation Webseite von Lehrenden wie zum Beispiel: „Ersten 90 Tage meiner Ausbildung“ | Schulbesuche festlegen für z.B. Monate September bis November in Schulklassen, denn diebeschäftigen sich fast zwei Jahre vor Lehrantritt mit der Berufsauswahl, Praktikumsplatz, Schnupperlehre, usw. |
18-20 Monate vor Antritt der Ausbildung | Wie funktioniert der Bewerbungsprozess. Wie hilft dir das Praktikum / Schnuppertag(e) deine Bewerbungschancen zu verbessern. | Schulen besuchen, Präsentation in Schulklassen halten, usw. |
15-17 Monate vor Beginn der Ausbildung | Was sind die drei grössten Fehler welche wir in Bewergungen sehen? Meine Erfahrungen als neuer Lehrling in der Berufsschule | Beispiele: Informationstage, Schnupperlehren, Praktikumsplätze anbieten, Messen besuchen. |
12-14 Monate vor Beginn der Ausbildung | Wie bereitest du Dich für das Bewerbungsinterview vor? Probezeit verlängert: Was bedeutet das und wie besteht man diese im zweiten Anlauf? | Workshops in Schulen geben: So bewirbst du dich für eine Schnupperlehre oder Ausbildungsplatz. Vorlagen für einen Lebenslauf geben. Sehr gut kommt dabei bei Schülern an, wenn Lehrlinge mitkommen und präsentieren, „lerne aus meinen Fehlern.“ |
9 -11 Monate | Veranstaltung mit Eltern: Die letzten Vorbereitungen zur Vertragsunterzeichnung Bericht zur Veranstaltung | Beginn der Selektion, Versendung der Verträge, Zeremonie mit Eltern und Schülern für die Vertragsunterzeichnung besprechen |
6- 8 Monate | Wie kann ich die Zusammenarbeit mit meinem Ausbildungsbetreuer gut nutzen? Was tun, wenn ich Probleme in der Berufschule habe? | Onboarding, Informationen zur Lehre, Tipps, Veranstaltung am zukünftigen Arbeitsort, usw. |
3-5 Monate | Was braucht es zu einem guten Start in die Lehre? Erfahrungsbericht vom ersten Arbeitstag: Bei mir ging alles falsch! | Sicherstellen, dass die Schüler an der Berufsschule oder Berufsmittelschule angemeldet sind. Teilnahme der Betriebsverantwortlichen Ausbildner an der Orientierung an der Berufsschule, Informationsvermittlung falls notwendig, usw. |
Notiz. Die obigen Phasen und deren Inhalte in Sachen Digital Marketing und Recruiting sind ein Grobkonzept.
Kosten-Nutzen Analyse vom Recruiting
Ziel der oben aufgelisteten Aktivitäten ist es, die Anzahl qualifizierter Bewerber und Jugendlicher, die einen Ausbildungsvertrag unterschreiben oder die erste Stelle nach erfolgreichem Studienabschluss im Betrieb antreten, zu erhöhen.
Auch wir haben einigen unserer Kunden dabei unterstützt, das Recruiting von Auszubildenden mithilfe digitaler Medien und anderer Aktivitäten zu verbessern. Unsere Analysen zeigen, dass wenn diese Schritte optimal umgesetzt werden, eine Verbesserung von 20% oder höher erreicht werden kann. Das heisst mehr qualifizierte Auszubildende unterschreiben einen Lehrvertrag. Doch auch auf anderen Gebieten muss exzellente Arbeit erbracht werden, z.B. bei der Lehrlingsbetreuung vor Ort. Wir konnten auch nachweisen, dass eine Vernachlässigung vom Content Marketing für sechs oder mehr Monate sich auf die Kennzahlen oder KPIs im Recruiting stark negativ auswirkt. Haben Sie eine spezifische Fragen zu Themen im Bereich digitales Recruiting, Marketing, Analytics oder Compliance, fragen Sie uns hier, wir antworten gerne.
[wpforms id=“13903″]
Die obigen Ausführung zeigen, wie enorm wichtig eine gut aufgestellte Kommunikation ist. Das heisst, digitale Inhalte inklusive Webseite, gedruckte Materialien, Email mit Follow-up per Post sowie Schulbesuche sind hier Pflichtprogramm. Ohne diese Basisarbeit ist es für viele Firmen nicht einfach bis schwierig, qualifizierte Bewerber für die drei- oder vierjährige Ausbildung EZB zu finden. Es lohnt sih also, die sich wiederholende Rekrutierungsarbeit für den Betrieb langfristig und strategisch aufzustellen. Ohne Investition von Arbeitsstunden, Content Marketing, Schul- und Messebesuchen, usw. werden die Betriebe keine gute Ernte einfahren können.
3 Fragen für Sie
Basierend auf der Studie zur Kosten-Nutzen Analyse der Berufsausbildung in Unternehmen haben wir drei Fragen für Sie, für welche wir Ihre Antworten gerne als Kommentare unten im Blog lesen möchten. Nämlich:
- Wie gut sind die Zahlen: Die Kosten-Nutzen Analyse ist sicherlich statistisch sehr gut abgesichert (siehe Methodenpapier unten). Doch alles hängt davon ab, wie gut und akkurat die teilnehmenden Firmen dieses Formular Online ausfüllten. Leute aus der Praxis denken, dass diese Zahlen nur in wenigen Betrieben sofort aus den Datenbanken gezogen werden können. Also was haben die Studienteilnehmer dann eingetragen….Schätzungen?
- EBA oder EFZ: Glaubt man der Kosten-Nutzen Analyse und der Presse (siehe unten) rentiert sich die Ausbildung vor allem im EBA Bereich, d.h. bei der zweijährigen Attest Lehre. Doch sind die Qualifikationen dieser Personen für eine Arbeitswelt, welche immer mehr Schlüsselqualifikationen verlangt, gut genug?
- Schulausbildung: Hat der Trend, dass es immer mehr EBA Bewerber gibt auch damit zu tun, dass eine immer grössere Anzahl der Schüler den Mindestanforderungen für die Berufsschule bei einer EFZ Ausbildung nicht mehr gerecht werden?
Weitere interessante im Beitrag erwähnte Ressourcen zum Thema
- Schöckli, Hansueli (27.11.2019 ). Die meisten Lehrlinge rentieren. Lohnendes Geschäft für die Schweizer Lehrbetriebe (Online: Die meisten Lehrlinge sind für die Betriebe rentabel). NZZ, Frontpage, S.1. Aufgerufen am 27.11.2019 auf https://www.nzz.ch/wirtschaft/die-meisten-lehrlinge-sind-fuer-die-betriebe-rentabel-ld.1524428
- Wiegt, Annick und Caracciolo, Dino (28.11.2019 ). Online: Soviel verdienen Firmen an Ihren Lehrlingen. Tages-Anzeiger, aufgerufen am 28.11.2019 auf https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/so-viel-verdienen-firmen-an-ihren-lehrlingen/story/28269087
- Lohnt sich die Lehrlingsausbildung für die Betriebe? Lernenden-Ausbildung in der Schweiz: eine lohnende Investition? Webseite mit Downloads Nov. 2019: https://www.sbfi.admin.ch/sbfi/de/home/dienstleistungen/publikationen/publikationsdatenbank/kosten-nutzen-2019.html
- Gehret, A., Aepli, M., Kuhn, A. & Schweri, J. (2019). Lohnt sich die Lehrlingsausbildung für die Betriebe? Resultate der vierten Kosten-Nutzen-Erhebung. Zollikofen: Eidgenössisches Hochschulinstitut für Berufsbildung. Aufgerufen 27.11.2019 auf https://www.sbfi.admin.ch/dam/sbfi/de/dokumente/webshop/2019/kosten-nutzen-19.pdf.download.pdf/OBS_EHB-Bericht_190923_DE_web.pdf
- Gehret, Alexander und Schweri, Jürg (Nov. 2019). Lehrlingsausbildung lohnt sich für Betriebe. Die Volkswirtschaft, 12, S. 55-57. Aufgerufen am 27.11.2019 auf https://www.sbfi.admin.ch/dam/sbfi/de/dokumente/webshop/2019/die-volkswirtschaft-gehret-schweri.pdf.download.pdf/die-volkswirtschaft-gehret-schweri_d.pdf
- Kuhn, A. & Schweri, J. (2019). Methodenbericht zur vierten Kosten-Nutzen-Erhebung der beruflichen Grundbildung. Zollikofen: Eidgenössisches Hochschulinstitut für Berufsbildung. Aufgerufen am 27.11.2019 auf https://www.ehb.swiss/file/13798/download